„Das Glück der Anderen ist mein Antrieb“
Die Augsburgerin Sina Trinkwalder war als Marketingfrau in der Werbung erfolgreich. Dann sattelte sie um. Heute gibt sie sozial benachteiligten Menschen Arbeit und Würde.
Von Marilis Kurz-Lunkenbein
Montagmorgen, 9.30 Uhr bei „Manomama“. Zwischen Nähmaschinen, Zuschneidetischen und Stoffballen recken und strecken sich die Näherinnen: Muskeln anspannen, Entspannen, Dehnen. Eine „Vorturnerin“ von der „Gesundheitskasse“ demonstriert, was Rücken, Schultern und Gelenken guttut und zeigt kleine Tricks, wie die Finger beweglich bleiben. Wer will, turnt mit.
Sina Trinkwalder (36) steuert derweil mit Kaffee und Zigarette auf den Balkon zu, wo sie der Besucherin die Geschichte ihrer Firma Manomama erzählt. Es ist der 30. November 2009 in Wuppertal, als die Marketingfrau wieder einmal aus einem „Keks-Meeting“ kommt, einem der vielen „unnützen Treffen ohne Ergebnis, dafür mit vollem Bauch durch Kekse und Kaffee.“ So beschreibt sie ihre frühere Arbeit in ihrem Buch „Wunder muss man selber machen“ mit dem Untertitel „Wie ich die Wirtschaft auf den Kopf stelle”. (Droemer 2013, 16,99 Euro)
Am Hauptbahnhof in Wuppertal wartet die Augsburgerin auf den ICE und blättert gelangweilt in einem Hochglanzmagazin, das sie dann achtlos in den Papierkorb wirft und sich ihrem Smartphone zuwendet. Schnell noch Mails, Tweets, SMS checken! Aus den Augenwinkeln beobachtet sie dabei, wie ein Mann ihre gerade entsorgte Zeitschrift aus dem Müll zieht, sie sorgfältig säubert und glattstreicht. Der ICE fährt ein, aber die Marketingfrau bleibt wie angewurzelt am Bahngleis stehen, der Zug fährt ohne sie ab.
„Ich werfe achtlos weg, was andere sich nicht leisten können und verkaufe anderen Menschen Dinge, die sie gar nicht brauchen!”
Etwas unsicher wendet sich Sina dem Mann zu, zieht zwei weitere Hefte aus der Tasche und bietet sie ihm an. Lächelnd bedankt sich dieser und erzählt „Meine Frau und ich sind obdachlos und leben vom Flaschensammeln. Aus den Glitzer-Heften basteln wir unseren Weihnachtsschmuck.“ Freundlich winkend humpelt der Mann davon und lässt eine verwirrte Sina Trinkwalder auf dem Bahnsteig zurück. „Ich werfe achtlos weg, was andere sich nicht leisten können und verkaufe anderen Menschen Dinge, die sie gar nicht brauchen!“ schießt es ihr durch den Kopf und Scham steigt in ihr auf, „weil ich hier miterlebte, wie Menschen in meinem Land zu kämpfen haben, Menschen, die für uns unsichtbar sind.“ Diese Begegnung wird Sina Trinkwalders Leben verändern. Fünf Jahre später ist aus der geschäftstüchtigen Marketingfrau eine erfolgreiche Unternehmerin geworden, die von sich sagt: „Das Glück der Anderen ist mein Antrieb. Ich will niemandem mehr etwas verkaufen, was er nicht braucht. Ich will etwas für die Menschen selbst tun.“
„Manno, Mama!“, stöhnt Sohn Magnus (5) wie so oft”
Als Sina an jenem Abend verspätet nach Augsburg zurückkehrt, steht für sie fest: Sie wird ihren Platz in der Werbeagentur räumen und ein neues Unternehmen aufbauen. Stefan, ihr Mann und Geschäftspartner, verspricht seine Unterstützung. Und sie rastet fast aus, als ihr Sohn sein nicht gegessenes Abendbrot wie selbstverständlich im Müll entsorgt. „Manno, Mama!“, stöhnt Magnus (5) wie so oft, und Sina muss lachen. Denn soeben hat ihr „Filius“ den Namen ihrer künftigen Firma erfunden: Manomama!
Was in den nächsten Monaten folgt, klingt unglaublich. Obwohl Sina noch nie an einer Nähmaschine gesessen hat, gründet die Werberin eine Textilmanufaktur – ausgerechnet in Augsburg, wo seit den 1970er Jahren 20.000 Menschen ihre Arbeit in der einst blühenden Textilindustrie verloren haben, weil in Fernost billiger produziert wird. Und obwohl alle Insider die junge Frau für verrückt erklären, steckt sie zwei Millionen Euro – ihre eigenen Ersparnisse und eine Erbschaft ihres Mannes – in die Infrastruktur von Manomama.
Sinas Mitarbeiter sind alleinerziehende Mütter, ältere Frauen, körperlich Eingeschränkte, Langzeitarbeitslose, Migranten, die bei ihr als Näherinnen, im Zuschnitt, als Helferinnen, Overlockerinnen, Rieglerinnen oder Stepperinnen arbeiten. Sie zahlt allen einen Mindeststundenlohn von zehn Euro und bietet flexible Arbeitszeiten an. Für das politische Hickhack um die 8,50 Euro Mindestlohn hat sie deshalb nur Spott übrig. „Das geht problemlos, wenn man es wirklich will. Wir beweisen doch, dass wir ohne Fördergelder, ohne politische Unterstützung, ohne Bankenkredite mindestens 10 Euro zahlen können. Und das mit ehemals Arbeitslosen in einer toten Branche mit 100 Prozent ökologischen Textilien in einer regionalen Wertschöpfungskette!“
Angefangen hat alles mit der Manufaktur, wo Kleider, T-Shirts, Jeans, Chinos und Jacken genäht werden, 2000 Bekleidungsstücke am Tag nach Maß und auf Wunsch des Kunden. Das Geschäft läuft übers Internet (www.manomama.de). Erst später kam die Produktion von Einkaufstaschen dazu. Ob Kleidermanufaktur oder Taschenproduktion, alles bei Manomama ist komplett „Made in Germany“ Die Stoffe für die Einkaufstaschen kommen aus dem Münsterland, „wir verarbeiten zehn Kilometer am Tag“. Dort werden sie gesponnen, gewoben und gefärbt, der Jeansstoff wird aus Franken geliefert, die Reißverschlüsse kommen aus Hessen, die Knöpfe aus NRW, Nähfaden und Klammern aus dem Allgäu, selbst die große Zuschneidemaschine, eine echte „Kuris Cutter“, zwanzig Meter lang, viele Tonnen schwer, ist aus der Region, aus Ulm. „Ich hätte auch eine China-Maschine kaufen können, diese hier kostet viermal so viel, aber wir unterstützen damit einen Mittelständler mit 80 Mitarbeitern.“
„Wunder muss man selber machen”
Seit die Drogeriemarktkette dm ihre Stofftaschen in Augsburg nähen lässt, laufen bei Manomama die Maschinen heiß. dm ist ein Kooperationspartner mit langfristigen Verträgen. Das bietet Sina und ihren „Ladies“, wie sie ihre Mitarbeiterinnen nennt, Sicherheit. „Wer will, kann sich bei uns bis in die Rente nähen.“ Fünf Millionen Beutel wurden 2013 in Augsburg zugeschnitten, genäht, gewendet, mit Henkeln versehen, wieder gewendet, etikettiert, verpackt und auf LKW verladen. Das sind bis zu 20.000 Taschen, die täglich an den rund 100 Arbeitsplätzen in der hinteren Halle entstehen. Aus der kleinen Kleidermanufaktur mit anfangs 20 Mitarbeitern ist ein Unternehmen mit 143 Beschäftigten geworden, Tendenz steigend.
Sina Trinkwalder spricht gern deutliche Worte und stellt Politikern und Unternehmern unangenehme Fragen wie: „Welche Not hat euch getrieben, die Arbeitsplätze in Deutschland zu vernichten?“ Sie referiert vor Bankern und erklärt jungen Gründern, dass es nicht nur auf den stimmigen Businessplan ankommt, sondern auf den Sinn, der hinter der Geschäftsidee steckt. Das lieben die Medien. Die attraktive Frau mit ihrer markanten schwarzen Brille ist deshalb ein gern gesehener Talkshow-Gast. Die RTL-Doku „Made in Germany“ hat Manomama inzwischen im ganzen Land bekannt gemacht.
„Der „Coffee to go“ geht gar nicht mehr.”
Auch wenn der Jahresumsatz von anfangs 200.000 Euro inzwischen auf 8 Millionen Euro gestiegen ist und der Laden brummt: Die Firma müsse sich nur tragen, betont Trinkwalder. Reich werden will sie nicht, aber beweisen, dass sie mit den Menschen, die bei ihr arbeiten, erfolgreich wirtschaften kann. Sie selbst habe durch Manomama ein anderes Verhältnis zum Geld bekommen, habe viel von ihren „Ladies“ gelernt. Seitdem kauft sie bewusster ein, bringt den Dingen mehr Wertschätzung entgegen. Der „Coffee to go“, früher ihr ständiger Begleiter, geht heute gar nicht mehr. „Wenn ich mir gelegentlich einen Kaffee leiste, dann nehme ich mir die Zeit dafür, setze mich ins Kaffeehaus und zelebriere den Genuss.“