Wiedervereinigung einer Gottheit

Die Heimkehr des „Herakles von Perge“ ist ein Archäologen-Krimi mit Tatorten in der Türkei und Nordamerika und Spuren, die sich in München verlieren. Mitwirkende: eine Gottheit, eine Archäologin und ein Journalist

Was für ein Mann, wahrhaftig ein ganzer Kerl! Kein Wunder, dass die Besucher Schlange stehen, um „Herakles von Perge“ in voller Größe und Herrlichkeit zu sehen. Nicht nur die Skulptur des schönen Griechen im Archäologischen Museum von Antalya, auch seine Wiedervereinigung ist eine Sensation. Denn 30 Jahre lang war Herakles eine geteilte Gottheit, ein Halb-Gott in Nordamerika, der andere in der Türkei zu Hause. Bis sich im Oktober 2011 endlich wieder zusammenfügte, was zusammengehört. Klingt simpel, aber dahinter steckt eine Geschichte, wie sie der Kriminalautor Dan Brown spannender nicht hätte erfinden können.

Die Grabräuber waren schneller

Jale Inan fand in Perge nur noch das Unterteil des Herakles Rückblick ins Jahr 1980: Damals macht die Archäologin Jale Inan bei Ausgrabungen im antiken Perge an der türkischen Südküste einen sensationellen Fund: den Unterleib des Herakles, einen Torso, den sie später auf das zweite Jahrhundert n. Chr. datiert. Die Istanbuler Professorin für Klassische Archäologie findet aber noch mehr, nämlich Spuren und deutliche Hinweise darauf, dass sie zu spät gekommen ist. Grabräuber waren schneller gewesen und hatten das Oberteil des Herakles entwendet.

Wer waren die Plünderer, die diesen spektakulären Kunstraub begangen haben? Wohin haben sie ihr Beutegut geschafft? Bis heute sind Zeit und genaue Umstände der göttlichen Teilung nicht geklärt. Ob sie es jemals werden? Jene, die mehr darüber wissen, haben allen Grund zum Schweigen. Für Jale Inan aber beginnt 1980 eine Verfolgungsreise, die die Forscherin bis an ihr Lebensende 2001 nicht mehr loslässt. Die Suche nach Herakles Oberkörper wird zu ihrem Lebensinhalt. Sein Unterleib wartet derweil – durch eine Fotografie der oberen imaginären Hälfte ergänzt – im Archäologischen Museum in Antalya.

Und da ist noch einer, der sich an der Verfolgungsjagd von Grabräubern beteiligt: Özgen Acar hat sich jahrelang an die türkische Antiquitäten-Mafia herangepirscht. Niemand hat den Weg, den ein antiker Gegenstand von einem umgepflügten Grabhügel bis in westliche Museen zurücklegt, gründlicher untersucht als der Enthüllungsjournalist von der türkischen Zeitung Cumhuriyet. So berichtete er 1992 in der „Zeit“ über untergründige Verbindungen von Hehlern und Schmugglern, deren Spuren fast immer zu zwei türkischstämmigen Händlern in München führten. Deren Antiquitätenläden sollen wahre Fundgruben für westliche Kunstliebhaber gewesen sein. Seiner Darstellung ist nie widersprochen worden.

1992 wird auch Jale Inan fündig und für ihre Beharrlichkeit belohnt. Nach zehn Jahren Suche spürt sie bei einer Amerikareise das antike Objekt ihrer Begierde im Bostoner Museum der Feinen Künste (Museum of Fine Arts, MFA) auf und ist sofort überzeugt: „Die beiden Hälften der Statue passen hundertprozentig zusammen“, und: „Herkules wartet nun voller Ungeduld auf den Tag, an dem er wieder vollständig sein wird.“ Doch Amerika verlangt Beweise, dass es sich in Boston wirklich um die obere Hälfte des „Herakles von Perge“ handelt und verweigert 19 Jahre lang die Rückgabe. Jale Inan wird deshalb die triumphale Rückkehr ihres Helden nicht mehr erleben. Die berühmte Archäologin, die zehn Jahre nach ihm gesucht und bis zu ihrem Tod auf seine Auslieferung gewartet hat, stirbt 2001 als 87-Jährige.

Mit Erdogan zurück in die Türkei

Erst als 2011 bekannt wird, dass das Bostoner Museum die Statue 1981 von einem deutschen Antikenhändler erworben hat, kommt Bewegung in die Angelegenheit, und drei Jahrzehnte nach dem Ankauf unter höchst dubiosen Umständen geben die Bostoner Museumsmacher das antike Stück als „Geste des guten Willens“ an die Türkei zurück. Die Türkei verpflichtet sich dafür, die bedenklichen Umstände des damaligen Ankaufs nicht weiter zu thematisieren.

Und dann geht es plötzlich ganz schnell: Ministerpräsident Erdogan, der gerade auf Staatsbesuch in den USA ist, nimmt den Griechen unter seinen persönlichen Schutz und kurzerhand in seinem Flugzeug mit nach Hause. Am 25. September 2011 ist „Herakles von Perge“ nach 30 Jahren Odyssee zurück in seiner Heimat. Sofort nach der Landung werden die beiden Hälften im Antalya Museum zusammengefügt, und sie passen hundertprozentig auf einander, so wie Jale Inan es vorhergesagt hatte. Seit dem 9. Oktober 2011 kann man den griechischen Helden im Archäologischen Museum von Antalya bewundern.

Mit der Tram ins Museum

Wer im Urlaub an der türkischen Riviera die wiedervereinigte Gottheit besuchen will, spaziert von der Altstadt Antalyas aus an der Küste entlang durch den Atatürk-Park oder nimmt vom zentralen Uhrturm aus die alte Straßenbahn, die direkt vor dem Museum hält. Die Tram ist übrigens ein Geschenk von Antalyas Partnerstadt Nürnberg. Aber das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte.

Die Mitwirkenden im Archäologen-Krimi

Die Forscherin

Jale Inan (1914-2001) war Professorin für Klassische Archäologie an der Universität Istanbul. Ihre Feldforschungen in Perge und Side haben das Bewusstsein für den Wert von Archäologie und Denkmalpflege in der Türkei wachsen lassen. Dank eines Stipendiums konnte Jale Inan schon 1938 Klassische Archäologie in Berlin und München studieren und promovieren.1944 heiratete sie den Bauingenieur und späteren Professor Mustafa Inan. Sie habilitierte sich 1953 und wurde 1963 Professorin.

Der Journalist

Özgen Acar, Jahrgang 1938, hat sich als investigativer Journalist einen Namen gemacht. Schon früh hatte ihn seine Mutter, eine Lehrerin, mit zu Museen und antiken Stätten in seiner Heimatstadt Izmir genommen und die Liebe zur Archäologie in ihm geweckt. Das Thema Beutekunst hat ihn sein ganzes Berufsleben begleitet. Die Grabräubermafia sei ihm immer auf den Fersen gewesen, erzählte er kürzlich einer englischen Zeitschrift. Einige große Museen in Nordamerika hätten ihm sogar Hausverbot erteilt, weil er bei manchen Ausstellungsstücken, wie bei Herakles von Perge, zu genau hingesehen und seine Beobachtungen nicht für sich behalten habe.

Die Gottheit

Die ausruhende Pose hat der Statue den Namen „Erschöpfter Herkules“ oder „Müder Herakles“ gegeben. Um 330 v. Chr. schuf der griechische Meister Lysippos von Sikyon eine überlebensgroße (angeblich beinahe drei Meter hohe) Herakles-Bronzestatue. Der Herakles von Perge ist eine Nachbildung dieser Bronzestatue in Marmor und soll aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. stammen. Der Mythos um Herakles (römisch: Herkules) berichtet, dass der uneheliche Sohn des Zeus (mit Alkmene) von Geburt an der Eifersucht Heras ausgesetzt war und mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet war. Bereits als Säugling zeigte sich seine göttliche Kraft, als er zwei Schlangen erwürgte, die ihn im Auftrag Heras töten sollten.

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